Nachdem ich die Nacht tief und fest geschlafen habe, bin ich schon um 6 Uhr Ortszeit einigermaßen fit aufgewacht. Wäre ich nicht so müde gewesen, hätte mich die Kälte der auf 2640m liegenden kolumbianischen Hauptstadt durchaus am Schlafen hindern können, doch so wurde ich an die geografische Lage erst wieder erinnert, als ich mich aus meinen drei Decken befreite. Also schnell wieder ins Bett und gemütlich im Reiseführer lesen und dösen. Um 8 wurde es dann aber doch ernst und ich wagte mich unter die typisch südamerikanische elektrische Dusche (Stecker nur Zentimeter vom Duschkopf entfernt - warum auch nicht?!), die, auch typisch südamerikanisch, von heiß leider weit entfernt war... naja, das lauwarme Wasser reichte aus, um dicke Dampfschwaden entstehen zu lassen.
Frisch geduscht und mit wiedererwachten Lebensgeistern erkunde ich nach kurzem Orientierungsgespräch im Hostal die Stadt, versorge mich mit Pesos und in einem Supermarkt auch mit Obst, Joghurt, Wasser und was man sonst so braucht. Schnell entsteht so ein erster Eindruck dieser (inoffiziellen) Zehn-Millionen-Stadt im Hochland der Anden: Bogotá präsentiert sich als eine vielgesichtige Stadt - alt und neu, renoviert und verfallen, arm und reich, dreckig und sauber, europäisch und durch und durch südamerikanisch, alles dicht auf dicht (und so abwechslungsreich ist auch das Wetter der Metropole). Nicht unbedingt eine Bilderbuchschönheit, aber sehr interessant und faszinierend. Jede Ecke bietet neue An- und Einsichten. Unsicher fühle ich mich nicht, denn so wie es aussieht arbeiten ungefähr 5.000.000 der 10.000.000 Einwohner bei Polizei oder Militär und die anderen 5.000.000 als Sicherheitspersonal, so dass ich sogar immer wieder die Spiegelreflexkamera und den Camcorder zücke.
Die große Plaza de Bolívar ist sicher das Herz der Stadt., denn sie wird flankiert von Kathedrale, erzbischöflichem Palais, Kapitol (Kongressgebäude), Justizpalast und Rathaus. Warum die Lateinamerikaner so sehr auf das Füttern von fliegenden Ratten abfahren wird mir wohl ewig ein Rätsel sein - aber so verwundert es kaum, dass auf dem Platz deutlich mehr Tauben als Menschen sind und die Viecher keinerlei Scheu vor den deutlich größeren Zweibeinern ohne Flügel (und in der Regel mit weniger Parasiten) zeigen. Das Polizeiaufgebot ist beeindruckend, was aber wohl auch daran liegt, dass sich heute Schüler, Studenten und Lehrer zur gemeinsamen Großdemo angekündigt haben. Die äußerst freundlichen Uniformierten raten jedem der wenigen ausländischen Touristen die Gegend ab Mittag großräumig zu meiden. Leider findet wegen der Demonstration heute auch keine kostenlose Stadtführung der Touristenpolizei statt. Na, dann halt doch in Eigenregie...!
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Die Kathedrale an der Plaza de Bolívar |
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Das erzbischöfliche Palais |
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Bolívar persönlich - etwas für wahre Romantiker |
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Grundschüler zum Klassenfoto vor dem Kapitol |
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Vorbereitungen der Polizei |
Stundenlang streife ich weiter durch das koloniale Herz Bogotás und besuche natürlich das - vollkommen zurecht - weltbekannte und hochgelobte Goldmuseum. Kein Wunder, dass ausgerechnet in Kolumbien der Mythos von El Dorado, dem sagenhaften Goldreich, entstanden ist. Gold war für die indianischen Völker im Überfluss vorhanden - und wurde entsprechend verschwenderisch verwendet.
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Im Goldmuseum |

Das Viertel La Candelaria, in dem ich auch wohne (im gleichnamigen Hostal), ist eine (architektonisch im wahrsten Sinne des Wortes) bunte Mischung aus alt und ganz alt, mit einigen überaus hässlichen modernen Augenquälern dazwischen, ein Viertel der Bohemes, Studenten und kleinen Leute - mit gelegentlichen Inseln für die alternative Szene. Trotz immer wieder einsetzendem (leichten) Regen kann ich es nicht lassen, die Gegensätze zu erkunden und in einem kolonialen Juwel eine Ausstellung der Privatsammlung des kolumbianischen Künstlers Botero zu besuchen. Sympathisch, wie alle Menschen und Tiere in seinen Werken mit einer Rubensfigur dargestellt werden. Wieder zurück auf den engen Straßen bieten sich noch viele Gelegenheiten das kolumbianische Völkergewirr zu beobachten - und zu sehen, dass zumindest im täglichen Umgang alle Hautfarben natürlich und fröhlich miteinander umgehen. Gänzlich unlateinamerikanisch (Ausnahme Brasilien) sieht man viele Pärchen unterschiedlichster Schattierungen Händchen halten oder in innigen Umarmungen mitten auf den belebten und viel zu schmalen Gehwegen (was zu suizidähnlichen Manövern im chaotischen Verkehrsgetümmel zwingt).
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Wie viele Leben wohl schon verbraucht sind? |
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Wache am Außenministerium |
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Die sogenannten "Geister" - Figuren aus Pappmaschee, zeigen in La Candelaria an, wo jemand ermordet, hingerichtet oder durch Selbstmord starb... und es gibt so einige Geister zu entdecken! |
Nun ist der erste Tag also vorbei und gut überstanden - und das feierlustige Trio von gestern abend sitzt bei 12°C auch schon wieder laut gackernd auf dem Patio. Auf die Ohrenstöpsel werde ich wohl auch heute nacht nicht verzichten können...
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Etwa doch nicht nur ein Klischee?!? |